Unser Redebeitrag bei der Kundgebung zum internationalen Frauentag in Reutlingen

Warum sind wir heute hier?
Wir sind heute hier weil wir es satt haben!

Wir haben es satt, dass uns spätestens von der Geburt an ein Geschlecht zugewiesen wird. Dass sowohl unsere Persönlichkeit als auch unsere Selbstwahrnehmung und unser Verhalten davon geformt wird. Dass wir diesem Geschlecht, und dem damit verbundenen Rollenbild von Mann und Frau entsprechen müssen.

Wir haben es satt, dass uns die damit einhergehenden gesellschaftlichen Erwartungen beeinflussen. Darin wie wir uns bewegen und anziehen, in unserer Emotionalität, unserem Verständnis von Beziehung und Sex und auch in unseren Vorstellungen von Freundschaft.

Wir haben es satt, dass uns suggeriert wird wen wir lieben dürfen, nämlich das scheinbar entgegengesetzte Geschlecht, und wie wir das zu tun haben. Dass wir unsere Lust nicht so leben dürfen, wie wir und unsere Partner*innen das wollen.

Wir haben Reutlingen und jede andere Stadt satt, die uns mit großen Werbeplakaten täglich daran erinnert wie wir auszusehen haben.
Wie dick unsere Schenkel, unsere Hintern, unsere Lippen und unsere Brüste zu sein haben.

Wir haben die Bilder satt, die es uns so schwer machen uns wohl zu fühlen wie wir sind. Ganz individuell, wenn wir nicht den vermeintlichen Schönheitsidealen oder der Norm entsprechen, wie ein Mann oder eine Frau auszusehen hat.

Wir haben den Druck satt, uns anpassen zu müssen oder aber dafür diskriminiert und ausgeschlossen zu werden, wenn wir dies nicht wollen oder können.

Wir haben es auch satt, nicht über Sexismus und die allgegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse sprechen zu können, ohne die bestehenden Rollen von Mann und Frau zu reproduzieren oder gar zu festigen.

Aber wir müssen dies trotzdem tun!
Denn auch wenn Geschlecht ein Konstrukt ist, so ist die Zuschreibung von weiblich und männlich – und die damit einhergehenden Privilegien und Diskriminierungen – traurige Realität.

Es gibt patriarchale Machtverhältnisse und -gefälle im Hier und Jetzt die sowohl benannt als auch verändert werden müssen. Deshalb ist es wichtig für uns zu sagen:

Wir haben es satt, dass Frauen, oder Menschen die als solche wahrgenommen werden, als Objekt betrachtet und auf Ihren Körper reduziert werden. Wir haben es satt, dass wir zur Erfüllung der Träume einer “Männerwelt” benutzt werden.
Wir wollen eine selbstbestimmte Sexualität, die sich nach individuellen Bedürfnissen richtet – und zwar für alle Menschen!

Uns kotzt es an, dass Sexismus so selten ein Thema ist. Und wenn doch, dann geht es um irgendwelche Quoten oder darum, wie Frauen neben der Arbeit im Haushalt und der Kindererziehung auch noch in Vollzeit lohnarbeiten können.

Wir haben es satt, das der grundlegende Sexismus, welcher fest in unserer Gesellschaft und damit auch in uns allen, verankert ist, weder aktiv aufgedeckt noch bekämpft wird.

Selbst unser Kampf gegen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse wird im Kapitalismus erfolgreich verwertet. Der Wunsch nach Emanzipation wird genutzt um das Potenzial junger, weiblicher, gut ausgebildeter Arbeitskräfte voll auszuschöpfen. Denn es geht in diesem System nicht um ein gutes Leben für Alle Menschen – unabhängig vom Geschlecht – sondern um die Schaffung von Mehrwert, trotz des bestehenden Konkurrenzdrucks.
Auch das haben wir satt!

Wir haben es satt, dass Sexismus, auch in vielen linken und radikal linken Kreisen, oft das Thema ist, für das gerade leider keine Zeit ist.
Wir haben das Gemacker satt, die Diskussionen darüber wer der krasseste ist, am meisten kann oder die heftigsten Sachen macht. Wir haben es satt unterbrochen zu werden und bitte, hört endlich damit auf uns die Welt zu erklären.

Wir haben es satt von sexueller und sexualisierter Gewalt betroffen zu sein. Wir sind wütend darüber, dass immer noch ignoriert wird, dass die vielen Formen der Gewalt gegen Frauen ein Resultat des herrschenden Männlichkeit-Bildes sind. Wir wollen, dass endlich verstanden wird, dass der einzelne, unnormale Triebtäter ein Mythos ist.

Wir haben es satt, nicht in einen Club gehen zu können, ohne dass uns blöde Sprüche gedrückt werden oder wir angepackt und begrapscht werden. Es macht uns sprachlos, dass uns nach wie vor suggeriert wird, wir seien selbst Schuld daran. Dadurch wie wir uns kleiden oder bewegen, weil wir Alkohol trinken oder allein unterwegs sind.
Wir wollen uns nicht länger sagen lassen, was wir anzuziehen haben oder nicht. Seien es kurze Röcke, lange Röcke, Kopftücher oder Badelatschen.

Wir wollen gemeinsam über die herrschenden Verhältnisse und Unterdrückungsmechanismen reden können. Uns ist bewusst, dass es neben Sexismus andere Herrschaft- und Diskriminierungsformen gibt und wir aus einer begrenzten und privilegierten Perspektive sprechen.
Wir wollen deshalb einen Raum für alle Menschen, indem wir auf uns acht geben, uns gegenseitig unterstützen, sodass sich am Ende jeder frei entfalten und wohlfühlen kann.

Wir wünschen uns eine Gesellschaft in der Menschen nicht auf ihr äußeres, also ihre körperlichen Merkmale, reduziert werden und die Vorstellung der zwei Geschlechter immer weiter aufgelöst wird.
Eine Gesellschaft, in der wir nicht zu heterosexuellen Männern und Frauen erzogen werden.

Wir wünschen uns allen, dass es normal ist Menschen zu lieben und anzuerkennen, ganz egal wie diejenigen aussehen, welches Geschlecht sie haben, welchen Sex sie mögen und an welchem Ort auf der Erde sie geboren wurden.

Lasst uns gemeinsam solche Räume schaffen, lasst uns nicht damit aufhören, die bestehenden Verhältnisse zu kritisieren.
Lasst uns die Welt verändern – jeden Tag ein bisschen – hin zu einer Gesellschaft der vielen!