Eltern stehen auf – nur besorgte Bürger*innen?

Eltern stehen auf – nur besorgte Bürger*innen?

Uns erreichen immer wieder Anfragen, warum wir gegen Eltern stehen auf demonstrieren. Das sind doch keine Rechten, oder?

Trotzt der historischen Verantwortung Deutschlands ist Antisemitismus nach wie vor eine der unsichtbarsten Diskriminierungsformen. Explizit gesprochen wird darüber kaum, wenn überhaupt wird er als Teil von Fremdenfeindlichkeit mitgemeint. Rassismus gegen BI_POC (Black, Indigenous and People of Color – Selbstbezeichnung von nicht-weißen Menschen) kann sich jede*r vorstellen, vielleicht hat man es auch schon einmal direkt mitbekommen. Bei Antisemitismus ist das anders. Das ca. 25 % der Deutschen antisemitisches Gedankengut in sich tragen, ist kaum vorstellbar, aber traurige Realität.[1] Die Unsichtbarkeit des Antisemitismus ist unter anderem auch damit begründet, dass hierfür eine Vielzahl an Codes verwendet werden, um diese Ressentiments zu artikulieren („Zionist Occupied Goverment“, „Kraken“, „Marionettenspieler“, …). Es geht dabei stehts um eine geheime Elite, die die Weltbevölkerung steuern will und sich dafür verschworen hat.[2]

Diese Rhetorik findet sich immer wieder im Zusammenhang mit Verschwörungstheoretiker*innen, so auch bei Querdenken. Gründer Ballweg formuliert den Slogan der Bewegung „Where we go one, we go all“.  Der Spruch ist direkt von der antisemitischen Bewegung QAnon kopiert.[3] Zudem lautet der Grundsatz bei Querdenken, dass es keine politische Abgrenzung in irgendeiner Art gibt.[4] Doch dies ist eher eine Untertreibung der Zustände. Extreme Rechte, Hooligans und Nazikader mobilisieren aktiv zu den Demonstrationen[5] und marschieren mit NS-Symbolen. Auch das Zeigen der Reichskriegsflagge stellt für die Organisator*innen und andere Teilnehmende kein Problem dar. Hier kann auch nicht argumentiert werden, dass man es nicht mitbekommen habe.

Eltern stehen auf ist ein direkter Ableger von Querdenken. Mithilfe dieses Markenzeichens werben die Organisator*innen in Reutlingen für den Protest gegen die Corona-Maßnahmen. So zieht es auch hier selbstverständlich Neonazis zu den wöchentlichen Demonstrationen in die Innenstadt. Der auf der Demonstration gezeigte Hitlergruß im Februar 2021 wurde teilweise ignoriert, teilweise relativiert.[6] Die vermeintliche Abgrenzung gegen rechts, die seit kurzem vor den Redebeiträgen gesprochen wird, bleibt für uns ein Lippenbekenntnis. Gerade dann, wenn die Redner*innen danach wieder auf antisemitische Rhetorik zurückgreifen. Kritik an den sozialen Auswirkungen der Lockdown-Maßnahmen sind legitim. Arme, Alleinerziehende, Geflüchtete und weitere marginalisierte Gruppen werden unverhältnismäßig stärker getroffen. Das Bildungssystem ist stark beschädigt. Doch diese Zustände sind nicht das Ergebnis einer elitären Weltverschwörung. Die Pandemie ist real, deshalb brauchen wir linke Krisenlösungen. Das bedeutet einen politischen Kurswechsel und einen solidarischen Shutdown.[7]


[1] Prof. Dr. Decker, O. / Prof. Dr. Brähler, E.: Autoritäre Dynamiken: Alte Ressentiments – neue Radikalität. Gießen: Psychosozial Verlag 2020, S. 222 ff.

[2] Prof. Dr. Butter, M.: Antisemitische Verschwörungstheorien in Geschichte und Gegenwart. Bundeszentrale für politische Bildung 2020

[3] Francescani, C.: QAnon: What is it and how did we get here?. ABC News 2020

[4] Buchholz, C.: Solidarität statt „Querdenken“ mit Nazis!. DIE LINKE 2020

[5] Gensing, P. / Reisin, A. / Lopez, E.: Neonazis mobilisieren für Dresden. Tagesschau aktuell 2020

[6] ROSA Reutlingen: Nachbericht – Protest gegen „Eltern stehen auf“ 2021

[7] Kreilinger, V. / Zeller, C.: Die Pandemie besiegen. AK667 2021