Rechte Aktivitäten im Kreis Reutlingen in 2019

Eine – zugegebenermaßen unvollständige – Chronik Rechter Aktivitäten im Kreis Reutlingen in 2019. Entstanden in Kooperation von ROSA & Tübingen Rechtsaußen

Aktivitäten der extrem rechten AfD

Die AfD verfügt in Reutlingen über einen Kreisverband und zwei Ortsverbände, den AfD-Ortsverband Schwäbische Alb“ und den AfD-Ortsverband „Sonnenbühl-Trochtelfingen“. Während der AfD-Ortsverband Sonnenbühl-Trochtelfingen“ nur einen einzigen Stammtisch bewarb, führte der Ortsverband „Schwäbische Alb“ monatlich einen Stammtisch im Café „Bolero“ in Münsingen durch.

Der Reutlinger AfD-Kreisverband veranstaltete 2019 mindestens zwei größere Veranstaltungen, von denen aber nur eine öffentlich beworben wurde: Ein Vortrag mit Bernhard Seitz im Spitalhof in Reutlingen (08.02.) und ein Vortrag mit AfD-MdB Dirk Spaniel (05.12.) an unbekanntem Ort.

Der AfD-Ortsverband „Schwäbische Alb“ veranstaltete 2019 mindestens drei Vorträge:

Im „Bolero“ zum Thema „Die heimliche Zuwanderung“ (22.05.), im „Bolero“ der Vortrag „Gender-Mythen wissenschaftlich entlarvt“ (18.06.) und ein Vortrag mit Hansjörg Schrade zum Thema „Die Agrarpolitik der AfD“ in der Zehntscheuer in Münsingen die Vortragsveranstaltung (28.11.)

Mitglieder des AfD-Kreisverband Reutlingen beteiligten sich am 1. April 2019 an einer Anti-Diesefahrverbots-Protestaktion in Reutlingen.

Zudem veranstaltete die AfD in Reutlingen 2019 mindestens drei Infostände in der Reutlinger Innenstadt (30.03., 28.04., 12.10.). Themen der Infostände waren der Kommunalwahlkampf und die AfD-Kampagne „GEZ – Endlich abschaffen“.

In Reutlingen wohnt auch der AfD-Landtagsabgeordnete Hans Peter Stauch, der dem Höcke-Flügel zuzurechnen ist. Er unterhält seit März 2019 ein Wahlkreisbüro in der Kirchstraße 4 in Metzingen (Kreis Reutlingen).

Am 26. Mai 2019 wurden im Kreis Reutlingen mit 7,20% der Stimmen vier AfD-KandidatInnen in den Kreistag gewählt:

  • Hans Peter Stauch (* 1952) aus Reutlingen, AfD-Landtagsabgeordneter
  • Ingo Uwe Reetzke (* 1960) aus Reutlingen, Rechtsanwalt, Präsident des AfD Landesschiedsgericht
  • Carmen Linares-Kellig (* 1959) aus Reutlingen, Ärztin
  • Harald Rinderknecht (* 1963) aus Pliezhausen, Zentralheizungs- und Lüftungsbaumeister

Ebenfalls wurden drei AfD-KandidatInnen in den Gemeinderat gewählt:

  • Hansjörg Schrade (* 1958), Dipl.-Agraringenieur, seit 2018 wissenschaftlicher Referent und Redenschreiber der AfD-Bundestagsfraktion in Berlin in den Bereichen Landwirtschaft und Umwelt
  • Hans Peter Stauch (* 1952) aus Reutlingen, AfD-Landtagsabgeordneter
  • Ingo Uwe Reetzke (* 1960) aus Reutlingen, Rechtsanwalt, Präsident des AfD Landesschiedsgericht

Hansjörg Schrade

Wichtigstes Mitglied der Reutlinger AfD ist Hansjörg Schrade. Der ehemalige Gemüsegroßhändler (ecofit) ist Agrar-Experte der AfD und war als solcher auch parlamentarischer Berater für Landwirtschaft und Umwelt bei der AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag bzw. in der AfD Bundestagsfraktion in Berlin.

Seine AfD-Parteikarriere leidet bisher unter Startschwierigkeiten. Versuche auf die Europawahlliste 2018 oder in den Bundesvorstand 2019 zu kommen, scheiterten krachend. Bisher muss sich der ambitionierte Schrade mit einem Sitz im AfD-Gemeinderat in Reutlingen begnügen. Da halfen auch Anbiederungsversuche an den Höcke-Flügel beim Thema Parteiausschlussverfahren nicht weiter.

Meike Hammer

Die Anwältin Meike Hammer aus Reutlingen-Gönningen ist seit dem November 2018 Mitarbeiterin der AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg. Meike Hammer ist die Frau von Steffen Hammer, einem Szene-Anwalt und ehemaligen Sänger der 2010 aufgelösten Rechtsrock-Band „Noie Werte“.

Meike Hammer vertrat z.B. vor Gericht Nick Mauser, der am 16. März 2017 in Pliezhausen (Kreis Reutlingen) mit Gleichgesinnten AktivistInnen aus dem Umfeld der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ den Vortrag „Abschiebehaft in BaWü – Flucht ist kein Verbrechen“ der Linkspartei-Politikerin Jessica Tatti störte.


Noie Werte und Steffen Hammer

In der langlebigen Rechtsrockband „Noie Werte“ spielte auch der Reutlinger Rechtsanwalt Steffen Hammer. Im Jahr 2010 wurde „Noie Werte“ nach 20 Jahren beerdigt, allerdings gab es 2019 ein Revival: „Noie Werte“ spielte am 22. September 2019 auf einem Rechtsrock-Konzert. Am 11. April 2020 sollen sie in Norditalien erneut bei einem Rechtsrockkonzert der neofaschistischen „Veneto Fronte Skinheads“ (VFS) auf der Bühne stehen.
Unklar ist, ob Steffen Hammer auch in der wieder belebten Band aktiv ist.

Ansonsten ist Hammer als Anwalt aktiv. Zum einen ist er ein rechter Szene-Anwalt, zum anderen ist er auch Anwalt von anderen Gewalttätern. 2019 verteidigte er in Reutlingen ein „Hells Angels“-Mitglied, dass wegen versuchter Nötigung und Körperverletzung seines Mitarbeiters im Erotik-Markt vor Gericht stand. Hammers Mandant wurde schließlich zu sechs Monaten mit vier Jahren Bewährung wegen versuchter Nötigung und Körperverletzung verurteilt.

Am 2. Februar 2019 soll er in Stuttgart an einer Kundgebung der AfD gegen das Dieselverbot teilgenommen haben. Dass sein ehemaliger Band-Kollege Oliver Hilburger als Vorsitzender der rechten Pseudo- Gewerkschaft „Zentrum Automobil“ auch vor Ort war, dürfte kein Zufall sein.


Aktivitäten der Partei „Der III. Weg“

In Reutlingen bzw. in den Vororten Pliezhausen und Gniebel ist eine Gruppe von Mitgliedern und SympathisantInnen der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ aktiv.

Es gab folgende Aktionen dieser Gruppe im Kreis Reutlingen:

  • Am 3. Januar 2019 verteilten AktivistInnen der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ in Reutlingen-Orschel-Hagen Flyer für die „Deutsche Winterhilfe“.
  • Am 15. Januar 2019 veranstalteten AktivistInnen der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ ein Gedenken an die Bombardierung von Reutlingen.
  • Am 26. Januar 2019 veranstaltete die Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ „im Raum Reutlingen/Ulm gemeinsam mit regionalen freien Nationalisten einen Vortrags- und Liederabend“. Es referierte Kai Zimmermann und es spielte der Liedermacher „Wegbereiter“.
  • Am 9. oder 10. März 2019 wurden in Münsingen (Kreis Reutlingen) Plakate der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ verklebt.
  • Am 10. März 2019 gedachten AktivistInnen der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ im Raum Reutlingen im Rahmen des „Heldengedenktags“ an verstorbene Wehrmachtssoldaten.
  • Am 18. März 2019 verteilten AktivistInnen der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ in Pfullingen (Kreis Reutlingen) Flyer zum Thema EU.
  • Am 21. oder 22. März 2019 wurden im nördlichen Reutlingen Plakate der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ aufgehängt.
  • Am 14. April 2019 soll in Metzingen der Wahlkampfauftakt der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ stattgefunden zu haben.
  • Am 20. April 2019 veranstaltete die Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ in der Reutlinger Innenstadt einen Infostand.
  • Am 18. oder 19. Mai 2019 verteilten AktivistInnen der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ in Reutlingen-Storlach Flyer.
  • Am 14. September 2019 veranstaltete die Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ in Reutlingen vor der City-Kirche eine kleine Kundgebung.

Die Online-Präsenz von „Der III. Weg“ ist der Twitter-Account „Unzensierte Nachrichten Neckar-Alb“.

Einer der wichtigsten Mitglieder dieser Gruppe ist Nick Mauser aus Pliezhausen (Kreis Reutlingen).


„Blaues Sofa 11“ bzw. „Blocksport 11“

Dieser Absatz wird aktuell überarbeitet. Weitere Informationen folgen.


Christlicher Fundamentalismus

Am 6. April 2019 fand im Hotel Fortuna in Reutlingen-Betzingen ein von „Christen im Beruf“ veranstalteter Vortrag zum Thema „Wenn Gott schweigt“ mit Prof. Dr. Siegfried Scherer statt. Scherer war bis 2006 ehrenamtlicher Vorsitzender der evangelikalen Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ und ist Verfasser des Schulbuchs „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“.

Am 4. Mai 2019 fand in der Gemeindehalle in Walddorfhäslach (Landkreis Reutlingen) der evangelikale christliche Pädagogentag 2019“ statt. ReferentInnen waren u.a. Gabriel Stängle, Heinz und Karin Veigel, die an der Petition gegen den Bildungsplan beteiligt waren.


Türkische NationalistInnen

In Reutlingen existiert mit dem der Gruppe „Reutlingen Türk Ocağı“ („Türkische Herdstelle Reutlingen“) ein Ableger der extrem rechten türkisch-nationalistischen Bewegung der „Grauen Wölfe“. Diese werden von Expert*innen dem Faschismus zugerechnet. Sie ist ein Ortsverein des Dachverbands „Deutsche Türk-Föderation“ („Almanya Türk Federasyon“ – ATF), dem Dachverband der türkischen FaschistInnen in Deutschland.
Am 7. April 2019 gedachten die türkisch-faschistischen „Reutlingen Ülkü Ocagi“ dem verstorbenen Alparslan Türkes (1917-1997), einem Hitler-Verehrer und Begründer der „Grauen Wölfe“, in Form einer Veranstaltung.

Daneben gab es weitere kulturelle Veranstaltungen oder Vorträge der Gruppe.

Türkische NationalistInnen kandidieren mit der Liste „Bündnis Vielfalt Reutlingen“ auch in Reutlingen am 26. Mai zum Gemeinderat, blieben aber erfolglos.
Der Listen zweitplatzierte Mesut Demirezen war z.B. 2010 Sprecher der „Türkischen Gemeinschaft Organisation“, dem Ortsverein der türkisch-faschistischen „Grauen Wölfe“, die im Dachverband ADÜTDF organisiert sind.


Sonstiger Nationalismus mit Migrationshintergrund

In der Bahnunterführung am Reutlinger Hauptbahnhof haben auch 2019 serbische, kroatische und albanische SprayerInnen eine Parolen-Auseinandersetzung über die Zugehörigkeit des Kosovo geführt.

Der katholische Pfarrer Ante Kutleša aus Reutlingen ist der Pressesprecher des „Bleiburger Ehrenzugs“, der Veranstalter-Organisation des kroatisch-nationalistisch-faschistischen Aufmarschs in Bleiburg/Plivberg im südlichen Kärnten (Österreich). Weitere Informationen findet ihr hier: https://www.no-ustasa.at/

Interessant in diesem Kontext ist sicher auch unser Infocafé zum Thema Rechte Erinnerungskultur und Shoahrelativierung in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens und in Reutlingen am 20. August 2020.


Rechte Straftaten (Angriffe etc.)

Im Jahr 2019 gab es im Kreis Reutlingen mehrere rechte Straftaten (Angriffe etc.):

  • Am 15. Januar 2019 wurde an einem Gebäude des Ladens von „Easy Sports“ in der Reutlinger Innenstadt ein mit gelber Farbe gesprühtes einen Meter großes Hakenkreuz entdeckt.
  • Am 23. Januar 2019 kam es in Reutlingen zu einer „Volksverhetzung § 130 StGB“ gegen Geflüchtete.
  • Am 15. März 2019 gab es einen rechten Online-Shitstorm gegen das Uhland-Gymnasium in Wannweil (Kreis Reutlingen). Auslöser war eine auf dem extrem rechten Infoportal „PINews“ skandalisierte Klassenarbeit zum Thema Islam und Judentum im Fach evangelischer Religionsunterricht aus dem Jahr 2016. Daraufhin erreichten die Schule mindestens 70 E-Mails mit Angriffen und Drohungen.
  • Am 2. April 2019 beleidigte ein betrunkener 49-Jähriger am Reutlinger Bahnhof mehrere Passanten rassistisch.
  • Am 11. April 2019 kam es in Reutlingen zu einer „Volksverhetzung § 130 StGB“ gegen Geflüchtete.
  • Am 25. Mai 2019 kam es in Reutlingen zu einer „Volksverhetzung § 130 StGB“ gegen Geflüchtete.
  • Vermutlich in der Nacht auf den 29. November 2019 wurden in Reutlingen auf dem Gelände der Bruderhaus-Diakonie, AWO und anderen Einrichtungen mehrere Hakenkreuze und andere NS-Symbole auf verschiedene Schilder geschmiert.

Fazit und Ausblick

Deutlich erkennbar sind im Vergleich zu 2018 abnehmende Aktivitäten der AfD im Jahr 2019. Das ist auch auf einen konsequenten antifaschistischen Gegenprotest zurückzuführen. Die Tatsache, dass die AfD ihr Jahr 2020 am 11. 01. mit einem weitestgehend geheimen Vortrag mit Bernd Höcke im Edelweiß eingeläutet haben, zeigt aber auch, dass der lokale Kreisverband dem „Flügel“ (mittlerweile laut Verfassungsschutz offiziell ein Beobachtungsfall) nahesteht.

Bisher wenig thematisiert, wurde die umtriebige und große Gruppe der türkisch-faschistischen „Grauen Wölfe“ in Reutlingen. Das liegt sicher auch am fehlenden Sprachzugang, welcher die antifaschistische Recherche erschwert.


Ihr habt Fragen zu Aktivitäten von Rechten in Reutlingen oder habt Ergänzungen der Chronik?
Meldet Euch gerne jederzeit per Mail an info@rosa-reutlingen.de

Wenn ihr gerne regelmäßig nach den Rechten sehen wollt, schaut unbedingt immer mal wieder beim Watchblog Tübingen Rechtsaußen vorbei.

Was der rechte Untergrund im Allgäu macht, erfahrt ihr bei unserem Infocafé am 21.05.2020 in Form eines Webinars zum Thema: Voice of Anger und der rechte Untergrund im Allgäu mit dem Investigativ-Journalisten Sebastian Lipp vom Redaktionsteam Allgäu ⇏ rechtsaußen.